Warum Führungskräfte auf Krankenhauspersonal hören sollten

Shahrokh Shariat | © feelimage / F. Matern
Shahrokh Shariat | © feelimage / F. Matern

Kostendruck und Fokus auf die Finanzen sind in der Medizin ein Faktum. Dabei darf aber nicht vergessen werden, worum es eigentlich geht: um die Patienten und deren gute und sichere Behandlung

Steigende Kosten im Gesundheitswesen sind für alle westlichen Länder ein gewaltiges Problem. Die Folge sind erhebliche strukturelle und operative Veränderungen vor dem Hintergrund sinkender Einnahmen. Wir Ärzte sind bemüht, unserem Versprechen zu Sicherheit und höchster Qualität jedem einzelnen Patienten gegenüber Tag für Tag aufs Neue gerecht zu werden – was angesichts dieser Rahmenbedingungen zusehends schwieriger wird. Doch für diese Problematik gibt es Lösungen. Drei mögliche Ansätze möchte ich im Folgenden näher erläutern.

1. Die Lücke zwischen Führungsebene und Patientenbetreuung schließen

Die stetig wachsenden Kosten im Gesundheitswesen erfordern eine kosteneffektive Planung – umgesetzt wird diese oft durch Angestellte. Oft richten Führungskräfte ihre Aufmerksamkeit nur auf die Finanzen. Das ist verständlich und heutzutage auch angebracht. Die Folge ist dennoch ein Scheitern. Denn es kann leicht passieren, dass zu großes Augenmerk auf Dinge gelegt wird, die im Endeffekt zu keiner Verbesserung der Gesamtsituation beitragen. Dazu ein Beispiel. Bei den Visiten an „vorderster Front“ – also bei den Patienten auf den Stationen – empfand einer meiner Kollegen in einer Führungsposition immer wieder Scham und Sorge angesichts der offensichtlichen Qualitätsabstriche und Sicherheitsrisiken. Er beschloss schließlich, Prozessveränderungen einzuführen, um dem Personal die kosteneinsparungsbedingten Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Denn seit er selbst die Probleme sieht, schenkt er seinen Angestellten für deren Anliegen mehr Gehör – mit dem Ziel, durch entsprechende Veränderungen die Qualität wieder an oberste Stelle zu setzen. Als Nebeneffekt wird seine Bindung zum Team enger und besser.

Dem Personal zuhören

Wie wir aus den Medien entnehmen können, häufen sich Beschwerden seitens des Krankenhauspersonals betreffend personelle Ausstattung, Nachtdienste oder Versorgungsmängel auf verschiedenen Ebenen des Gesundheitswesens. Hier ist es umso wichtiger, dass Führungskräfte auf Krankenstationen regelmäßig anwesend sind. Anderenfalls kommen Angestellte täglich mit wachsendem Ärger und Frustration zur Arbeit, was im schlimmsten Fall hilflose Patienten in Form von mangelnder Pflege zu spüren bekommen. Ein Grund mehr, warum es essenziell ist, dass Führungskräfte für ihre Angestellten und deren Anliegen ein offenes Ohr haben. Jene Personen in leitenden Funktionen, welche mich in meinem Leben bisher am meisten beeindruckten, hatten übrigens alle die entsprechenden Mittel und Wege für eine tägliche, konstruktive Interaktion zwischen Führungskräften, Pflegepersonal und Patienten etabliert.

2. Richtige Fragestellungen führen zur Lösung

Es gibt ein paar simple Fragen, die dabei helfen, über das qualitative Gesamtniveau eines Betriebs sowie das Leistungsverhalten von Führungskräften Aufschluss zu geben:

  • Wissen Sie, wie gut Sie sind? Das präzise Aufarbeiten von Qualitätsberichten aus Patientensicht zur Messung von Leistung und qualitativen Methoden der Krankenversorgung ist essenziell.
  • Wissen Sie, wo Sie im Vergleich zu den Weltbesten stehen? Meist schauen sich Führungskräfte nur ihre eigene Leistung genauer an. Werden sie sich jedoch bewusst, wo sie in Hinblick auf objektive Spitzenleistungen in ihrem Gebiet stehen, steigt die Motivation zur positiven Veränderung um ein Vielfaches.
  • Wo gibt es konstruktive Abweichungen im System? Viele Führungskräfte beschäftigen sich hauptsächlich mit durchschnittlichen Werten und verabsäumen dabei die Gelegenheit, Verbesserungsmöglichkeiten durch eine Analyse der gesamten Leistungsbandbreite quer durch alle Leistungserbringer und Abteilungen zu nützen. Dabei können Abweichungen von der Norm eine wertvolle Lern- und Verbesserungsquelle sein.
  • Wie verändert sich die Verbesserungsrate im Laufe der Zeit? Fortschritt wird von Führungskräften oft höher eingeschätzt, als dies der Realität entspricht. Regelmäßige Datenerhebungen von Veränderungen begünstigen eine tatsächliche Fortschrittsverbesserung.

Diese Fragestellungen können dazu beitragen, entsprechende Prioritäten zu setzen. Sie vermitteln die Notwendigkeit, Qualität als etwas Lebendiges, sich ständig Veränderndes und nicht als etwas Statisches zu verstehen. Zudem beinhalten sie eine gesunde Dosis an Wettbewerbsdenken – und zwar genau so viel, um für Neugierde und ein Gefühl von Stolz zu sorgen, was wiederum Lernprozesse bewirkt.

3. Effektive Wege etablieren, um Patienten und Familienmitgliedern Gehör zu verschaffen

Nachhaltig erfolgreiche Führungskräfte zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie Methoden entwickeln, um Input von Patienten und deren Angehörigen hinsichtlich Service, Programmen und Behandlungsmodellen zu integrieren. Konkret sind das einerseits einfache Kommunikationswege für Patienten, damit diese ihre Anliegen anbringen können, sowie andererseits verlässliche Prozesse, um auf diese Rückmeldungen zu reagieren und etwaige Probleme rasch lösen zu können. Aber Achtung! Es geht hier um weit mehr als das bloße Auswerten von Umfragebögen. In optimal funktionierenden Systemen informieren sich Führungskräfte in persönlichen Gesprächen sowohl über gute als auch über schlechte Behandlungsergebnisse und setzen auf dieser Grundlage die entsprechenden Konsequenzen.

Wie das in der Praxis aussieht? Nun, im Ryhov-Spital im schwedischen Jönköping können Patienten ihre Dialysebehandlungen beispielsweise selbst durchführen – auf ähnlich selbstverständliche Weise, wie wir etwa Geld vom Bankomaten abheben oder unser Auto auftanken. Diese Innovation wurde möglich, indem das Krankenhauspersonal auf den jeweiligen Stationen in einem ersten Schritt enge, vertrauensvolle und unterstützende Beziehungen zu den Patienten aufbaute – und eine starke Optimierungskompetenz aufwies. Damit war die Basis gelegt, um auf der mittleren Führungsebene anschließend die realen Auswirkungen personalisierter Patientenbetreuung auszuwerten: Verbesserung von Gesundheit und Qualität der Gesundheitsversorgung bei gleichzeitig niedrigeren Pro-Kopf-Kosten. Auf oberster Führungsebene sah man schließlich das Potenzial für neue Versorgungsmodelle. Dazu war es anfangs nur nötig, auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen.

[embedyt] http://www.youtube.com/watch?v=VEk-A3k98QA[/embedyt] Christian Farman: Wie die Dialyse im schwedischen Krankenhaus abläuft – ein Patient und eine Krankenhausmitarbeiterin erzählen.

Meine Conclusio ist, dass jeder von uns seinen Fokus auf die Arbeit vor Ort verstärken muss. Wir müssen es uns zum Ziel machen, effektive Teams aufzubauen, welche kontinuierlich an Verbesserungsmöglichkeiten arbeiten. Und wir müssen nach Wegen suchen, die Stimmen unserer Teammitglieder besser wahrzunehmen und zu integrieren – das Gleiche gilt für die Stimmen unserer Patienten. (Shahrokh F. Shariat, 24.6.2016)

Wir sind für sie da.